Sonntag, 17. Dezember 2023, 15 h

Verleihung des Kunstpreises LÖWE VON WEILBURG an

JINY LAN

die Laudatio hält

Prof. Dr. Beate Reifenscheid

 

Der mit 60.000 Euro dotierte Kunstpreis, gestiftet vom Weilburger Rosenhang Museum, geht in diesem Jahr an die international renommierte chinesisch-deutsche Malerin, Konzeptkünstlerin und Aktionistin Jiny Lan. Die Preisverleihung findet am 17. Dezember im Rosenhang Museum statt. Laudatorin ist Prof. Dr. Beate Reifenscheid, Direktorin des Museums Ludwig in Koblenz.

„Minimalismus ist ein Luxus, den ich mir bisher noch nicht leisten kann“, sagt die am 3. Mai 1970 in der nordchinesischen Provinz Liaoing geborene Künstlerin, die seit 1995 in Deutschland lebt und arbeitet und seit 1999 deutsche Staatsbürgerin ist.

Der mit 60.000 Euro dotierte Kunstpreis, gestiftet vom Weilburger Rosenhang Museum, wird am 17. Dezember die Scheinwerfer auf ein Leben und ein künstlerisches Schaffen richten, das bis heute viele Grenzen sprengt, das fasziniert, mitunter verblüfft, gar ratlos macht, aber immer wieder zu neuen Sichtweisen und Diskussionen anregt.

Ihre Kunst sei die der Subversion, sagt Lan, eine, die grundsätzlich alles in Frage stelle, gleichermaßen Staatliches wie Soziales, Privates wie Künstlerisches. Ein immerwährender Prozess sei ihr Leben, sei ihre Kunst. Ein Prozess, der fortlaufenden Veränderungen unterworfen ist. Das sei wie eine DNA, die sich stetig wandele.

„Jinyology“ nennt Jiny Lan ihre ganz persönliche künstlerische DNA

„Jinyology“ nennt die mit ihrem Mann und drei Kindern in Bochum lebende Künstlerin selbstbewusst diesen Prozess und bezeichnet damit ihre ganz persönliche DNA.

Ihr Wortspiel mit dem englischen Begriff „genealogy“ (Genealogie – Ahnen-/Familienforschung) verleitet dazu, sich einmal forschend, biografisch, kunsthistorisch wie „genetisch“ mit Jiny Lans Leben und Werk zu befassen. So wie es jüngst die Professorin Qinna Shen in ihrem Buch „Jiny Lan and the Art of Subversion: Chinese-German Culture and Politics through a Feminist Lens“ getan hat.

Das Erste, was auffällt ist: diese Künstlerin ist, obwohl sie nunmehr ihren längsten Lebensabschnitt in ihrer neuen Heimat Deutschland verbracht hat, im Ausland bekannter als in dieser Republik.

Ein filmreifes Leben

Ihre chinesische Vita ist filmreif. Jiny Lans Oma war noch Mitglied der letzten kaiserlichen Familie rund um die Kaiserwitwe Cixi. Jiny war das erste Kind ihrer Mutter und das vierte ihres Vaters. In der patriarchalischen Welt Chinas war sie als Mädchen und Frau ein Mensch zweiter Klasse und damit nicht bestimmt für die Fortsetzung eines Stammbaums. Diese „patriarchalischen Traditionen“ befeuern bis heute ihren Feminismus und Freiheitsdrang.

Im Mai 1989 demonstrierte sie zehn Tage lang auf dem Tiananmen Platz für Frieden, Freiheit und Demokratie. Am 4. Juni wurde dieser Protest auf brutalste Weise niedergeschlagen. Jiny Lan entkam einer Verhaftung. Sechs Jahre später verließ sie das Land, brach aber nie die Verbindungen zu ihrem Geburtsland ab. Ganz im Gegenteil. Denn 2012 gründete sie in China, zusammen mit der 1962 geborenen, weltbekannten Künstlerin Xiao Lu (lebt heute in Australien) und der Künstlerin, Kunstkritikerin und Lehrerin Li Xinmo (1976 geboren) die erste feministische Künstlerinnen-Gruppe des Landes, die „Bald Girls“. Ein Trio, das sich seine Köpfe kahlschor und mit seinen künstlerischen Aktionen gegen das Patriarchat weltweit für Schlagzeilen sorgte, auch in der New York Times. Die Bande dieses Trios halten bis heute, wie deren Ausstellung „Bald Girls – Chain Reaction“ anlässlich ihres zehnjährigen Jubiläums im vergangenen Jahr in Düsseldorf eindrucksvoll belegte.

Auch ohne die Bald Girls hat sich Jiny Lan mit ihrer Kunst und mit ihren Performances wie „Vis-a-Vis“ (2016 in Paris) oder „Augenzeuge für Fälschung gesucht“ (2017 in Wien) in ihrer neuen Heimat schnell einen Namen gemacht. Und der wird immer schillernder, immer künstlerisch prägnanter, immer aufmerksamkeitsstärker. Denn Lan setzt sich künstlerisch keine Grenzen. Ihre Kunst ist laut, plakativ und provozierend. Das bekommen selbst die weißen Granden ihrer Zunft zu spüren.

Baselitz nackt und Merkel kaiserlich

Als Georg Baselitz als 80-jähriger meinte, “Frauen können nicht so gut malen wie Männer“ und dieses damit begründete, dass die Kunst von Männern auf dem Kunstmarkt weitaus höhere Preise erziele als die Kunst von Frauen, da setzte sich die zierliche Jiny vor eine großformatige Leinwand und verewigte Baselitz nackt, mit Babybauch, kopfüber auf einem Wasserfall liegend, denn Wasser fließe nun einmal nach unten.

„Heilig“ ist für Jiny Lan niemand. In ihrem Bilderzyklus „Meisterwerke“ (2018/19) parodiert sie Ikonographisches der Kunstgeschichte, von da Vinci bis zu Dali oder Gerhard Richter. Und ihre Porträts von Staatsoberhäuptern (Xi Jinping, Gerhard Schröder, Wladimir Putin, Olav Scholz. Donald Trump u.a.) sind kreative Entdeckungsreisen aus Elementen fernöstlicher wie westlicher Kunst.

Ihr „Kaiserin-Porträt“ der Ex-Kanzlerin Merkel beeindruckte auch den jetzigen Bundesfinanzminister Christian Lindner. Er dekorierte damit zeitweise eines seiner Büros. Inzwischen bereichern andere Kunstwerke von Lan Lindners Büro-Interieurs. „Von der Auseinandersetzung mit ihren Bildern in meinen Arbeitsräumen profitiere ich seit vielen Jahren – nicht als Dekoration, sondern als Denkanstoß“, bekennt Lindner.

Für Jiny Lan ist das ein Beleg mehr, dass sie als Person und mit ihrer Kunst endgültig in ihrer neuen Heimat verortet und angekommen ist. „Im China von heute fungiert Kunst als reine Dekoration der Politik. Hier, in Deutschland, kann ich dagegen meine Meinungen und meine Kunst frei entfalten, kann anregen, anecken, auch provozieren, wenn das notwendig ist“, sagt Lan. Und damit ist sie jetzt mittendrin in ihrer „Jinyology“, in ihrem so facetten- wie ereignisreichen Leben. Ein Leben und ein künstlerisches Schaffen, wo das Vorherige mit dem Jetzigen und dem Zukünftigen verwoben sind. Wo gemalte Bilder generisch zu Fotografien werden, diese wieder zu Drucken, die teilweise übermalt werden oder vice versa.

„Die Sicht auf das Leben und die Kunst bedarf einer grundlegenden Subversion“

Leben und die Kunst verschmelzen. Kulturen, ob westliche oder östliche, ebenso. Alles ist im Fluss und bedingt sich wechselseitig, verändert sich, wie auch die Sicht auf die Kunst und das Leben. Beides bedarf, so Lan, einer grundlegenden Subversion, einer anderen, feministischen Sicht der Dinge. Diese sei mitunter provozierend, voller Fantasie, aber nie respektlos. Und auch nie verbissen. Lans Feminismus ist keineswegs frigide, eher lustbetont. Jederzeit offen für Neues und Anderes.

Ihre Ausstellung „Himmelsfragen“, die noch bis 31. Januar 2024 im Rosenhang Museum gezeigt wird, ist eine einzigartige Entdeckungsreise in Jiny Lans „Art of Subversion“. Sie beleuchtet alles und jedes aus ihrer Sicht, als Lans Sicht. Und die ist immer eine lustvolle, eine überaus fantasiereiche, Grenzen sprengende, freiheitsliebende und feministische.

Jiny Lans Blick auf die Welt und ihre Menschen stellt alles in Frage, verbindet und verwebt aber gleichzeitig auch alles zu einem vielschichtigen Ganzen. Wie eine große DNA des Lebens und der Kunst.

Am 17. Dezember 2023 wird Jiny Lans DNA um einen weiteren, glanzvollen Baustein erweitert: um den des LÖWEN VON WEILBURG.

LÖWE VON WEILBURG

Das Rosenhang Museum in Weilburg/Lahn vergab 2021 erstmalig den Kunstpreis LÖWE VON WEILBURG. Namenspatron ist das Wappentier des Weilburger Stadtwappens.

Der mit 60.000 Euro dotierte Kunstpreis ging an die in Berlin lebende koreanische Künstlerin SEO. Einstimmige Entscheidung der Jury. „Mit der Vergabe an die Künstlerin SEO haben wir eine würdige Preisträgerin gekürt, die trotz ihres noch jungen Alters über ein bemerkenswertes Oeuvre verfügt“, schrieb der Juryvorsitzende Dr. Ulrich Ptak in der Entscheidungsbegründung.

 

 

Die international besetzte Jury, der folgende Persönlichkeiten angehörten: Manfred Bissinger, Publizist/Hamburg, Antonio Moutinho Cardoso, Museo Pinto Leite/Porto, Antje Helbig, Rosenhang Museum/Weilburg, Dr. Mei Huang, Kunsthistorikerin/Peking, Joachim Legner, Rosenhang Museum/Weilburg, Dr. Ulrich Ptak, Kunsthistoriker/ Rostock, hatte sich einstimmig für die in Berlin lebende und arbeitende koreanische Künstlerin SEO (geb. 1977 in Gwangju/Korea) entschieden. In Würdigung und Anerkennung ihrer Leistungen im Bereich der bildenden Künste wird der mit 60.000 Euro dotierte Kunstpreis am 17.12.2023 um 15 h an die Künstlerin vergeben.

Zur Erweiterung ihrer Studien kam SEO im Jahr 2001 nach Berlin. Dort studierte sie an der damaligen Hochschule der Künste (HdK) in der Klasse von Georg Baselitz. Am Ende ihrer Studiums wurde sie zu seiner Meisterschülerin ernannt (2003/4).

In das Zentrum ihrer künstlerischen Tätigkeit stellt SEO die Auseinandersetzung mit ihrer kulturellen Identität. Im ständigen Zwiespalt zwischen ihrer Herkunft und ihrer zweiten Heimat in Deutschland entstand ein vorwiegend malerisches Oeuvre, in dem sie das abweichende Tempo der grundunterschiedlichen Kulturen  abbildet. Eine weitere kulturelle Ebene wurde so geschaffen. In dieser skizziert SEO ihre Visionen von einer global entrückten Wirklichkeit. Romantische Bilder, aus denen der Spannungszustand von Gefühl und Konflikt ablesbar ist.

Der mit 3.000 Euro dotierte Förderpreis ging 2021 an die in Istanbul und Berlin lebende Künstlerin Sultan Adler (geb. 1975 in Bremen). Auch in ihrer Biografie befinden sich gegensätzliche multikulturelle Bezüge, die zu einer intensiven künstlerischen Auseinandersetzung geführt haben.

Die Preisgelder werden für Museumsankäufe verwendet. Der Förderpreisträgerin wird zusätzlich eine Museumsausstellung ausgerichtet.

„Die Entscheidung der Jury überzeugt und folgt den selbstgesteckten Zielen unserer musealen Arbeit. Die Pflege, die Förderung und der Diskurs um die Belange der bildenden Kunst stehen im Rosenhang Museum an oberster Stelle. Die ersten Preisträger sind zwei Frauen, auch das passt gut zu uns“, so die Museumsdirektorin Antje Helbig.